645613 Gedächtnis, Erinnerung und Erzählung: Aussagen des Feldforschungsmaterials (Deutungswerkstatt)

Sommersemester 2014 | Stand: 13.01.2015 LV auf Merkliste setzen
645613
Gedächtnis, Erinnerung und Erzählung: Aussagen des Feldforschungsmaterials (Deutungswerkstatt)
VU 2
3,75
14tg.
jährlich
Deutsch

Die Lehrveranstaltung vermittelt die Erkenntnismöglichkeiten und die Funktionsweise der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt als einem Methodeninstrument zur Auswertung von Textmaterial (Feldforschungsnotizen, Gesprächsprotokolle etc.), das im Zuge ethnografischer Feldforschung als Datenmaterial entstanden ist. Hierbei macht die Deutungswerkstatt auch eine wissenschaftliche Arbeitsatmosphäre erlebbar, die von Offenheit gegenüber dem Unerwarteten und Unbekannten getragen ist. Sie unterstützt damit das Erlernen und Üben einer offen der Realität zugewandten und selbstreflexiven ethnografischen Forschungshaltung.

Mit der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt setzt die Lehrveranstaltung ein erprobtes Methodeninstrument zur Auswertung von Feldforschungsmaterial in die Praxis um.

Die Methode der Deutungswerkstatt beruht auf folgenden Überlegungen. Für die ethnografische  Kulturforschung stellen menschliches Dasein und Tun nicht nur abstrakte Untersuchungsgegenstände dar, sondern diese bilden zugleich auch das Wesen der Forschungspraxis selbst: Im ethnografischen Forschen werden Daten in konkreten Interaktionssituationen gewonnen, in den Beziehungen, die Forschende zu den Subjekten ihres Forschungsfeldes eingehen. Emerson et al. sprechen diesbezüglich von einer „researcher mediation of the field“ (Emerson et al. 1995: 13). Nach Georges Devereux (1984) löst diese Verwicklung der Forschenden in den Prozess der Datengewinnung eine Angst aus, die in der Regel durch den Einsatz von Methoden abgewehrt wird, die eine Distanz zwischen Forscher_in und Feld herstellen. Demgegenüber lässt sich der Umstand, dass die/der Forschende als Subjekt wesentlicher Teil der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisarbeit ist, aber auch als „epistemologisches Fenster“ (Breuer 2009: 116) begreifen und für das wissenschaftliche Verstehen der Wirklichkeit produktiv machen.

Besonders die Züricher Ethnopsychoanalyse hat sich um eine entsprechende hermeneutische Epistemologie und Forschungspraxis verdient gemacht. Nach dem psychoanalytischen Modell von Übertragung und Gegenübertragung begreift sie die in der Forschung aufkommenden Gefühle des Forschers als Phänomene, die mit den kulturellen Spezifika des beforschten Feldes in Beziehung stehen. In ihrem Interesse an Subjekten als „Ausgestaltung[en] gesellschaftlicher Möglichkeiten“ (Erdheim u. Nadig 1991: 190) setzt die Ethnopsychoanalyse auf die Reflexion dieser Gefühle, „da die Subjektivität das uns heute einzig bekannte Medium ist, um das Unbewusste überhaupt wahrzunehmen“ (ebd.). 

Die Lehrveranstaltung arbeitet als eine Interpretationsgruppe an Texten, die pro Sitzung von ein oder zwei Teilnehmenden eingebracht werden. Dies sind z.B. Feldforschungsnotizen und Tagebuchauszüge, dichte Beschreibungen, Transkripte von Gesprächen, „notes on notes“ (Kleinman u. Copp 1993). Die Gruppenmitglieder äußern frei ihre von dem jeweiligen Text ausgelösten Assoziationen und Gefühle. Eine wichtige Voraussetzung dieser Arbeitsweise ist es, die für das akademische Arbeiten typischen, also begrifflichen, argumentativen, diskursbezogenen etc. Diskussionsweisen beiseite zu lassen. Im Verlauf einer Sitzung entsteht so ein assoziatives „Gewebe“ (Nadig), das die dem Text inhärenten emotionalen Aspekte zum Ausdruck bringt und greifbar macht (vgl. auch Becker et al. 2013).

Die Deutungswerkstatt unterstützt Studierende der Europäischen Ethnologie im Prozess der Auswertung von Feldforschungsdaten, z.B. zur Vorbereitung einer Masterarbeit.

Die Methode der Lehrveranstaltung besteht in der Lektüre und assoziativen Besprechung von Feldforschungsmaterial, das von den Teilnehmer_innen eingebracht wird.

(1) Verbindliche, regelmäßige und aktive Teilnahme; (2) Einbringen ethnografischen Datenmaterials; (3) Ausarbeitung eines Essays (5-10 Seiten).

  • Becker, Brigitte et al. 2013: Die reflexive Couch. Feldforschungssupervision in der Ethnografie. In Zeitschrift für Volkskunde, 109. Jg., Heft 2, S. 181-203.
  • Breuer, Franz 2009: Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Devereux, Georges 1984: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
  • Emerson, Robert M.; Fretz, Rachel I.; Shaw, Linda L. 1995: Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago u. London: University of Chicago Press
  • Erdheim, Mario; Nadig, Maya 1991: Ethnopsychoanalyse. In Ethnopsychoanalyse 2 (Herrschaft, Anpassung, Widerstand), Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, S. 187-201.
  • Kleinman, Sherryl; Copp, Martha A. 1993: Emotions and Fieldwork. (Qualitative Research Methods Vol. 28.) London u.a.: Sage.
  • Nadig, Maya 1986: Die verborgene Kultur der Frau. Ethnopsychoanalytische Gespräche mit Bäuerinnen in Mexiko. Subjektivität und Gesellschaft im Alltag von Otomi-Frauen. Frankfurt a. M.: Fischer.
06.03.2014
Gruppe 0
Datum Uhrzeit Ort
Do 06.03.2014
13.45 - 17.00 52U109 SR 52U109 SR Barrierefrei Induktionsschleifen für Gehöreingeschränkte
Do 20.03.2014
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Do 03.04.2014
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Do 15.05.2014
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Do 12.06.2014
13.45 - 17.00 52U109 SR 52U109 SR Barrierefrei Induktionsschleifen für Gehöreingeschränkte
Do 26.06.2014
13.45 - 17.00 52U109 SR 52U109 SR Barrierefrei Induktionsschleifen für Gehöreingeschränkte