603712 SE Grundlagen der Erziehungswissenschaft: Vertiefung II: Schicksal und Erziehung: Pädagogische Diskurse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Sommersemester 2021 | Stand: 08.02.2021 LV auf Merkliste setzen
603712
SE Grundlagen der Erziehungswissenschaft: Vertiefung II: Schicksal und Erziehung: Pädagogische Diskurse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
SE 2
7,5
Block
jährlich
Deutsch
  • Die Studierenden sind imstande, die LV-Inhalte kritisch zu diskutieren und eine daran anschließende, eigenständige Fragestellung wissenschaftlich zu bearbeiten.

Um 1900 gehört der Begriff des Schicksals zum Schlagwortrepertoire zahlreicher Disziplinen: In Biologie und Psychiatrie werden damit vererbliche Dispositionen beschrieben; in der Psychoanalyse spricht man von einem dynamischen Triebschicksal; in der Politik kennt man nationale Schicksalsgemeinschaften; in Literatur und Philosophie gilt das Schicksal als Inbegriff des Tragischen. Es herrscht eine regelrechte „Schicksalslüsternheit“ (Walter Benjamin), die bis Mitte des 20. Jahrhunderts immer weiter zunimmt.

Im Seminar setzten wir uns kritisch mit Texten aus dem Zeitraum zwischen 1930 und 1960 auseinander – dabei stehen Sonderpädagogik, Psychiatrie, Psychoanalyse und Existenzphilosophie im Fokus unseres Interesses. Wir untersuchen, wie der Schicksalsbegriff, der heute vielleicht eher veraltet und unzeitgemäß erscheint, in diesen Disziplinen zu einem brisanten Konzept avancierte, das zur Legitimation von – unter anderem – antisemitischen, nationalistischen, rassistischen und sexistischen Praktiken herangezogen wurde. Besonderes Augenmerk werden wir auf institutionelle, personelle und diskursive Kontinuitäten legen, die die Schicksalsfaszination des Nationalsozialismus überdauerten.

Dieser kleine Einblick in einen Aspekt der erziehungswissenschaftlichen Begriffsgeschichte soll uns dafür sensibilisieren, welche problematischen Zusammenhänge sich hinter scheinbar angestaubten Konzepten verbergen können. 


Mitarbeit und Anwesenheit (30%), Kurzreferate (10%), Seminararbeit (60%). Lektüre und Diskussion von Primärtexten und Sekundärliteratur.

  • Lehrveranstaltung mit immanentem Prüfungscharakter, bei der die Beurteilung aufgrund von regelmäßigen schriftlichen und mündlichen Beiträgen der TeilnehmerInnen erfolgt.

Auswahl:

Gerhard Pfahler (1932): Vererbung als Schicksal. Eine Charakterkunde. Leipzig: Barth.

Wilhelm Flitner (1935): „Die Lehre von Schicksal und Aufgabe des Menschen.“ Ausgewählte pädagogische Abhandlungen. Besorgt von Heinrich Kanz. Paderborn: Schöningh.

Herman Nohl (1938): Charakter und Schicksal. Eine pädagogische Menschenkunde. Frankfurt am Main: Schulte-Bulmke.

Henri Ellenberger (1951): „Das menschliche Schicksal als wissenschaftliches Problem.“ Psyche, Vol. 11, Nr. 11, S. 576-610.

Otto Friedrich Bollnow (1959): Existenzphilosophie und Pädagogik. Versuch über unstetige Formen der Erziehung. Stuttgart: Kohlhammer.

Leopold Szondi (1968): Freiheit und Zwang im Schicksal des Einzelnen. Zürich: Buchclub Ex Libris.

Wolfgang Brezinka (1977): „Grenzen der Erziehung.“ Schicksal? Grenzen der Machbarkeit. Ein Symposion. München: dtv, S. 104-40.

Dagmar Hänsel (2009): „‚Erbe und Schicksal.‘ Rezeption eines Sonderschulbuchs.“ Zeitschrift für Pädagogik, Vol. 55, Nr. 5, S. 781-95.

Für BA Erziehungswissenschaft: Voraussetzung zur Teilnahme an dieser Veranstaltung ist der erfolgreiche Abschluss der Pflichtmodule 1 bis 7 und 16.

Sie benötigen für die Seminarteilnahme Webcam und Headset/Mikrofon.

 

adraxl@princeton.edu

siehe Termine