LFU:online

Die Studierenden haben sich ein methodisches Verständnis tiefenhermeneutischen Forschens erarbeitet. Dabei werden konkrete Techniken und Schritte der Tiefenhermeneutik, wie das szenische Verstehen, das interpretieren in einer tiefenhermeneutischen Interpretationsgruppe sowie das Schreiben von Interpretationsprotokollen am empirischen Material eingeübt. 

Zwar erfahren Geflüchtete in Europa auch Unterstützung, Empathie und Zuwendung, primär geraten sie mit der Ankunft jedoch in ein lähmendes Konglomerat aus rechtlichen Praxen, sozialen Zuschreibungen, ökonomischen Benachteiligungen und rassistischen Ressentiments, die tief in die Strukturen und Vergesellschaftungsprozesse der Ankunftsgesellschaft hineinreichen: Sie werden von Menschen, die aufgrund unzumutbarer Lebensumstände eine Flucht wagen, zu Flüchtlingen.

Die Erfahrungen die die Betroffenen während der Flucht und in der Ankunftsgesellschaft machen, gehen aber auch mit psychischen Phänomenen wie Trauer und Trauma einher; sie umfassen Verluste, Konflikte, Ängste und Wünsche, die sich gar nicht unmittelbar aussprechen lassen und vielmehr an unbewusste Anteile rühren.

Die Lehrveranstaltung möchte sich vor diesem Hintergrund mit der Analyse der Lebenssituation und des Erlebens jener Menschen beschäftigen, die in Deutschland und Österreich mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus leben müssen.

Dabei wird die Annahme vertreten, dass Theorien und Methoden der psychoanalytischen Sozialpsychologie in ebendiesem Themen- und Arbeitsfeld einen wertvollen Beitrag leisten können, indem sie jene Dimensionen zu entschlüsseln versuchen, die jenseits der Oberfläche manifester Äußerungen liegen, aber dennoch verhaltenswirksam in das Erleben der betroffenen Menschen eingreifen. Zu diesem Repertoire zählt die von Alfred Lorenzer entwickelte rekonstruktive Methode der Tiefenhermeneutik, die als wichtiger Meilenstein in der Vermittlung von Psychoanalyse und Sozialwissenschaft betrachtet werden kann.

Um die Methode und das Potential der Tiefenhermeneutik kennenzulernen, versteht sich die Lehrveranstaltung als praxisorintierter Einblick, der neben der Lektüre einschlägiger Seminartexte zur Tiefenhermeneutik vor allem auch die Analyse empirischer Fallbeispiele aus dem Bereich der Fluchtmigrationsforschung umfasst.

Erarbeitung und Präsentation ausgewählter Seminartexte, Analysesitzungen von Datenmaterialien in Interpretationsgruppen.

Referate und Seminararbeiten.

Wer sich bereits vor dem Seminar einlesen möchte, der/dem empfehle ich:

König, J., Burgermeister, N., Brunner, M., Berg, P. & König, H.-D. (2019). Dichte Interpretation. Tiefenhermeneutik als Methode qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer VS.

König, H.-D., König, J., Lohl, J. & Winter, S. (2020). Alfred Lorenzer zur Einführung. Psychoanalyse, Sozialisationstheorie und Tiefenhermeneutik. Opladen: Verlag Barbara Budrich.

Die Literatur zu den einzelnen Sitzungen wird in der Lehrveranstaltung bekannt gegeben.