641230 Gender Studies: Balkonszenen als Architekturen des Begehrens
Sommersemester 2018 | Stand: 29.01.2018 | LV auf Merkliste setzenEin berühmter Kupferstich von 1759, der die Darsteller*innen Barry Spranger (Romeo) und Mary Isabella Nossiter (Juliet) bei den Proben zu Shakespeares Romeo and Juliet im Covent Garden Theatre zeigt, führt eine Pathosformel vor, die stärker nicht in der westlichen Liebeskultur verankert sein könnte: die Balkonszene. Obwohl die allseits bekannte zweite Szene des zweiten Aktes der Tragödie der star-crossed lovers von 1597 den Balkon nicht erwähnt – denn dieses Lexem ist erst ab 1618 in der englischen Sprache nachgewiesen – so scheint die Balkonszene ohne Balkon dennoch emblematisch für jene Architektur und Dramaturgie der Liebeszene zu stehen, wie sie, scheinbar natürlich, in der Literatur- und Kulturgeschichte verankert worden ist. In der Übung soll anhand von Beispielanalysen aus einem diachronen Corpus, das weit über Shakespeare hinausgeht, die architektonisch befestigte Begehrens- und Affektordnung der Balkonszene beleuchtet werden. Dabei sollen vor allem poet(olog)ische und soziokulturelle Normierungsprozesse mithilfe einer queer-feministisch geprägten Literatur- und Kulturwissenschaft in den Fokus geraten. Unterstützt wird die Analyse- und Theoriearbeit durch Performance-Übungen. Ziel der Übung ist es, Analyse- und Reflexionsergebnisse in eigenen, kleinen Inszenierungsvorschlägen einer Balkonszene zur Anwendung zu bringen, die auch performt werden können.
In der Übung gilt es, die Verschränkung von Architektur, Medium und Begehren in der Liebeszene am Balkon zuallererst theoretisch zu erfassen und dann anhand von Beispielanalysen literarischer, künstlerischer und medialer Balkone anzuwenden. Es stehen dabei vor allem Performanz- und Performativitätstheorien im Fokus, die im Lichte des spatial und emotional turn reflektiert werden sollen. Das Untersuchungscorpus wird transmedial und transnational angelegt sein. In Absprache mit den Teilnehmer*innen soll aus einer Materialsammlung ausgewählt werden, die vom altkokzitanischen über den anglophonen zum hispano- und italophonen Kulturraum reicht sowie ein mediales Spektrum ausgehend von der Troubadourlyrik über die französische Komödie des siècle classique bis zum Ramazotti-Werbespot der 00er-Jahre umfasst. Zusätzliche Materialvorschläge sind willkommen.
Die Übung soll Workshop-Charakter haben. In der ersten Blockeinheit wird anhand von Vorträgen der*s LV-Leiter*in, die durch gelenkte, vorbereitende Lektüre sowie Diskussionen gestützt werden, ein theoretisches Fundament erarbeitet. Intensiviert wird die theoretische Arbeit durch Performance-Übungen. In der zweiten Einheit rücken die Analysen und Inszenierungsvorschläge ausgewählter Materialien in den Vordergrund. Hierfür sind nicht nur Kurzreferate der Teilnehmer*innen vorgesehen, sondern auch kleine Performances bzw. performative Übungen wünschenswert, die auf den Analysen aufbauend entwickelt werden.
Ergänzt werden soll die Arbeit im Seminar mit einer (bezuschussten) Exkursion (Mai/Juni) ins Residenztheater München zu Jean Genets „Der Balkon“. Die Vorführung wird mit einem Gespräch mit der Dramaturgie/Regie verbunden werden.
Um die LV positiv abzuschließen, müssen während des Semesters in Gruppen- oder auch in Einzelarbeit theorie- und analysegeleitete Inszenierungsvorschläge erarbeitet und in der zweiten Blockhälfte (auf Wunsch auch performativ) vorgestellt werden. Am Ende des Semesters sind diese in eine schriftliche Kurzarbeit (Umfang ca. 5-7 Seiten) zu überführen. Zusätzlich wird die aktive Beteiligung an den Diskussionen in die Benotung miteinbezogen.
1. Schößler, Franziska, Einführung in die Gender Studies, Berlin, Akad.-Verl., 2008.
2. Hempfer, Klaus W., Theorien des Performativen: Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bielefeld, Transcript, 2011.
3. Fischer-Lichte, Erika, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2004.
4. Dünne, Jörg; Günzel, Stefan, Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2007.
5. Ahmed, Sara, The Promise of Happiness, Durham, Duke Univ. Press, 2010.
6. Behrens, Christoph, „Sehen und Gesehenwerden: Leopardis balcone zwischen Goya und Manet.“, Callsen, Berit; Hettmann, Sandra; Melgar Pernías, Yolanda (Eds.), Bilder-Texte-Bewegungen: Interdisziplinäre Perspektiven auf Visualität, Würzburg, Königshausen-Neumann, 2016, p. 23-44.
7. Behrens, Christoph, „Wahr-Nehmend Lesen: Literarische Performativität und soziokulturelle Praxis“, Schlette, Magnus et al. (eds.), Anthropologie der Wahrnehmung, Heidelberg, Universitätsverlag Winter, 2017, p. 439-454.
Ergänzt werden soll die Arbeit im Seminar mit einer (bezuschussten) Exkursion (Mai/Juni) ins Residenztheater München zu Jean Genets „Der Balkon“. Die Vorführung wird mit einem Gespräch mit der Dramaturgie/Regie verbunden werden.
- Philosophisch-Historische Fakultät
- Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät