LFU:online

- Die Studierenden befassen sich mit theoretischen Konzepten einer Anthropologie des Risikos ("Risikogesellschaft", "Risikoforschung", "Risikokultur", u.a.)

- Die Studierenden reflektieren über mit der "Allgegenwart" von Risiken verbundenen Perspektiven und befragen damit einhergehende Handlungs- und Diskurslogiken.

- Die Studierenden wenden kulturanthropologisch-ethnologischen Perspektiven auf Risiko in verschiedenen alltäglichen Feldern empirisch an.

„Können wir wissen, welchen Risiken wir heute oder in der Zukunft gegenüberstehen? Nein, wir können es nicht, aber wir müssen so handeln, als ob wir es täten. … Wie entscheiden Menschen also darüber, welche Risiken sie eingehen und welche sie ignorieren? Was ist die Basis dafür, daß man sich vor bestimmten Gefahren schützt und anderen eine untergeordnete Bedeutung beimißt?“ (Douglas/Wildavsky: Risiko und Kultur, 1993).
Risiken sind das Ergebnis gesellschaftlicher Konstruktionen, als Abstrakta sind sie präsent und abwesend zugleich. Unter Risiken werden Gefahrenpotentiale verstanden, die mögliche und plausible, aber in der Zukunft liegende Schäden beschreiben und in Wahrscheinlichkeiten formulieren. Risiko ist ein voraussetzungsreiches gesellschaftliches wie individuelles Konzept, das viel über kulturelle Vorstellungen, über den Umgang mit der Welt aussagt. Im Zentrum des Interesses stehen also meist Deutung, Wahrnehmung und Kommunikation. Die Lehrveranstaltung schlägt vor, Risiken bezüglich ihrer Handlungsmacht zu befragen, also die Perspektive darauf zu richten, wie mit Risiken in regionalen und lokalen Zusammenhängen teilweise seit Jahrhunderten umgegangen wurde und wird. «Risikokulturen» wäre also zuallererst eine regionale und lokale Bedingtheit, in der divergierende Risikolagen verhandelt und handlungsleitend gemacht werden. Das Denken in Risiken ist ein Zugriff auf Realität, der oft einhergeht mit Steuerung, Lenkung und Regierbarkeit. Diskurse über Risiko dienen dann dazu, eine Normalisierung der Unsicherheit zu erreichen, indem das Risiko kommunizierbar, tradierbar und damit auch greifbar wird. Generell kommen damit soziale Felder von Risiko in den Blick, die sich durch einen präzisen Ort wie durch eine kulturanthropologisch-ethnographische Perspektive auf Wissen, Praktiken und Zukunftsentwürfe auszeichnen.

Das Seminar dient der Vorbereitung eines Lehrforschungs- und Kooperationsprojekt des Innsbrucker Instituts für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie mit dem vorarlberg museum, das für 2020 eine großangelegte Ausstellung aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Vorarlberger Landesversicherung plant. Dieses Jubiläum nehmen wir als Startpunkt einer Beschäftigung mit grundsätzlichen Fragen des Umgangs mit Versicherung und Unsicherheit. Dabei sind für die Ausstellung zahlreiche und breite Themen vorgesehen: Schutzheilige, Umgang mit Naturgefahren, Schutz vor Krankheit, kollektive Sicherungsmassnahmen gegen Tod und Unheil. Im Rahmen des Studienprojekts der Europäischen Ethnologie sollen in verschiedenen ethnographischen Sondierungen Resultate zu medikalisierter Versicherung (z.B. Herzschrittmacher), zu Sicherungsstrategien gegen Naturgefahren (etwa Schnee/Lawinen und Wasser) sowie zu kollektiven Versicherungsstrukturen als Mittel gegen individuelle Risiken entstehen. Ziel der empirischen Arbeit der Studierenden ist die Produktion von für die Ausstellung nutzbaren Wissensformaten, etwa Videointerviews, Bilddokumentationen oder Archivrecherchen.

Lehrveranstaltungsbegleitend: Vorbereitung der Lektüre, aktive Teilnahme an den Diskussionen, Input zu einem Text, mündliche Projektpräsentation zum eigenen Studienprojekt.

Verfassen einer schriftlichen Seminar-Arbeit auf der Basis eigener Forschungen (30'000-40'000 Zeichen).

- Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986.

- Samimian-Darash, Limor: "Governing Potential Future Biothreats. Toward an Anthropology of Uncertainty", in: Current Anthropology 54(2013), Nr. 1, S. 1-13.

- Hinrichsen, Jan: "Evidenz und Unsicherheit. Zur materiellen Kultur der Katastrophe", in: Braun, Karl, Dietrich, Claus-Marco; Treiber, Angela (Hg.), Materialisierung von Kultur. Diskurse - Dinge - Praktiken, Würzburg 2015, S. 444-451.

- Douglas, Mary; Wildavsky, Aaron: "Risiko und Kultur. Können wir wissen, welchen Risiken wir gegenüberstehen?", in: Krohn, Wolfgang, Krücken, Georg (Hg.), Riskante Technologie: Reflexion und Regulation. Einführung in die sozialwissenschaftliche Risikoforschung, Frankfurt a. M. 1993, S. 113-137.

- von Contzen, Eva; Huff, Tobias; Itzen, Peter (Hg.): Risikogesellschaften. Literatur- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2018.